Vom Auftauchen und Verschwinden

Orte und Instrumente – wo und wie wird Musik gemacht (und zu Geld gemacht)?

Diese Artikelserie befasst sich also mit der bürgerlichen Musik, mit ihren Elementen, mit ihrer Entwicklung und damit, wie diese Entwicklungen der Musik auch gesellschaftliche Veränderungen widerspiegeln.

Und da lautet die erste Frage: Was ist das, bürgerliche Musik? Zunächst ist es die Musik der bürgerlichen, also unserer Gesellschaft. Unsere Gesellschaft, das ist – seit der Französischen Revolution – grob gesprochen die Gesellschaft, die mit dem Adel aufgeräumt oder ihn bürgerlichen Normen unterworfen hat, zum Beispiel der Besteuerung und der allgemeinen Gerichtsbarkeit. In dieser Gesellschaft spielen die Höfe des Adels keine Rolle mehr als Zentren der Gesellschaft und der Geselligkeit. Für die Musik bedeutet dies, dass sie nun (immer mehr) an bürgerlichen Orten gespielt wird; erinnern wir uns an das Zimmermann’sche Kaffeehaus (zu seiner Zeit Zimmermannisches Caffe-Hauß genannt), in dem Johann Sebastian Bach das Collegium Musicum leitete, das vor ihm Georg Philipp Telemann gegründet hatte und wo Konzerte gegeben wurden. Ähnliches gilt für das Gewandhaus (auch in Leipzig wie das Kaffeehaus, ursprünglich ein Messehaus der Tuch- und Wollhändler), in dem ab der Mitte des 18. Jahrhunderts Konzerte stattfanden, zu deren Aufführung ein Orchester gegründet worden war.

Was also mit dem Anbeginn bürgerlicher Musik auftaucht, ist ein Ort für die Musik, der allgemein zugänglich wird, allerdings in der Logik unserer bürgerlichen (kapitalistischen) Gesellschaft nur gegen Eintrittsgeld. Am Hof Musik zu hören, war ein Privileg, das nicht erkauft werden konnte, sondern das gewährt wurde. In der Kirche Musik zu hören, war zwar kein Privileg, dafür aber war der Musikgenuss auf Messen, Oratorien, Kantaten und Ähnliches beschränkt und wie diese komponiert werden mussten, war von den Kirchenorganisationen streng reglementiert. Der öffentliche Raum aber, in dem Konzerte gegen Bezahlung zur Aufführung gebracht wurden, war etwas Neues. Daneben konnte dieser öffentliche Raum auch eine abstrakte Form annehmen, die wiederum nur gegen Eintrittsgeld besucht werden durfte: Das war der Musikverlag.

Kompositionen, die ein Kapellmeister eines Hofes verfasste, waren das Eigentum des Fürsten und verschwanden oft in den Schubladen des Archivs, nachdem der Anlass, für den sie komponiert worden waren, vorbei war. Das erklärt auch die große Anzahl an Werken der Komponisten, die angehalten waren, für einen Anlass Musik zu schaffen, die später dann kaum oder nicht mehr gespielt wurde. Der Verlag aber wollte die Werke, die er verlegte, immer wieder drucken und verkaufen und musste immer wieder mit den Komponisten verhandeln und sie beauftragen, zu liefern.

Ein weiterer Ort der Aufführung von Musik wurde nämlich die bürgerliche Wohnung oder der Salon. Dies entspricht der bürgerlichen Trennung der Lebensbereiche in öffentlich und privat. Wenn ein Fürst Musik genoss oder selbst verfasste oder wiedergab (musikalische Bildung gehörte zum Standardprogramm adliger Erziehung und die Anzahl kaiserlicher, königlicher und fürstlicher VirtuosInnen ist gar nicht so klein), war das eine Angelegenheit der Repräsentation. Die Meisterschaft Ludwigs XIV. im Tanz war keine private Liebhaberei, sondern diente zur Darstellung des Glanzes der französischen Krone. Wenn aber im Salon ein Streichquartett oder eine Klaviersonate gespielt wurde, war dies eine Angelegenheit der Freizeit, also der privaten bürgerlichen Lebenssphäre, die nun die Amateure zu gesuchten Abnehmern der gedruckten Noten machte.

Mit dieser Veränderung der Gesellschaft und der Entstehung neuer Musik betraten neue Instrumente die Welt und alte verschwanden. Es waren vor allem die Zinken und Serpenten einerseits, Blasinstrumente aus Holz mit Grifflöchern, die aber mit Kesselmundstücken wie bei den heutigen Blechblasinstrumenten gespielt wurden. Zum anderen waren es die Gamben, Streichinstrumente mit sechs bis sieben Saiten und Bünden wie bei den Gitarren und Lauten. Beide Instrumentenfamilien wurden nun als nicht mehr aktuell angesehen, weil sie als Instrumente des Hofs, des Adels galten, vor allem die Gamben, die von der Familie der Violinen verdrängt wurden. Dafür aber hatte sich mit Vehemenz ein Instrument durchgesetzt, das nun zum Symbol bürgerlicher Musikausübung und Musikerziehung werden sollte und zu dem Instrument und Werkzeug, an dem die KomponistInnen ihre Musik schufen: das Klavier. Waren seine zahlreichen Vorläufer noch oft deutlich kleiner sowohl, was den Tonumfang, als auch, was die Ausmaße betrifft, so stellte das Klavier, das nun immer größer wurde und schließlich mit gusseisernem Rahmen im bürgerlichen Wohnzimmer stand, die Stärke und die Unverrückbarkeit bürgerlicher Existenz und Bildung dar.